Zusammen für Klimaneutralität: Die Woche der Umwelt in Berlin – ein persönliches Protokoll

Eine Zeltstadt mitten in Berlin? Auf den ersten Blick sah es tatsächlich so aus, als wäre quasi über Nacht am 4. und 5. Juni 2024 eine Zeltstadt im Berliner Bezirk Tiergarten entstanden – und zwar direkt vor dem Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten. An zwei Tagen tummelten sich dort viele kleine, mittelgroße und einige große Zelte von fast 200 Ausstellern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Technik, Forschung und Zivilgesellschaft. Auf Einladung des Bundespräsidenten und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) präsentierten sie auf der „Woche der Umwelt“ die neuesten Lösungsansätze und positive Praxisbeispiele für eine klimaneutrale Wirtschaft – und Gesellschaft. Denn dass jede und jeder Einzelne von uns umdenken muss, wurde in fast jedem Panel auf der Fachbühne, in den Diskussionen in den Forenzelten und in den Gesprächen unter den Ausstellenden und Gästen deutlich.

„Lassen Sie uns Klima- und Artenschutz zur gemeinsamen Sache machen für ein Leben in Respekt vor der Natur“, forderte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Eröffnungsrede. Damit griff der Gastgeber auch den Leitspruch der Woche der Umwelt auf: In diesem Jahr fand sie unter dem Motto „Zusammen für Klimaneutralität“ statt.
„Wir können Wohlstand erhalten“, betonte Steinmeier, „und ökologischen Umbau gerecht gestalten, in Deutschland und Europa. Wir müssen es nur tun, wir alle als Bürgerinnen und Bürger.“

Die Kosten der Klimakrise gingen bereits jetzt in die Milliarden, so Steinmeier weiter, zudem sei eine gewisse Veränderungsmüdigkeit erkennbar. Und doch sei er überzeugt, dass es gelinge, „möglichst viele dieser Menschen für den demokratischen Kampf gegen die Erderwärmung zu gewinnen und manche, die wir verloren haben in den letzten Jahren, zurückzugewinnen. Überall ist jetzt Tatkraft gefragt.“ Und die Woche der Umwelt zeige, „es ist alles da, was wir brauchen, um unser Land zu einem klimaneutralen Industrie- und Exportland zu machen, zu einem Land, in dem wir Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit verbinden, zu einem Land, das zum Vorbild für andere werden kann und so weltweit zum Klimaschutz beiträgt.“

Politprominenz meets Wissenschaft

Auf der Bühne kamen und gingen die Bundesministerinnen und –minister. So diskutierte die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz, zum Thema nachhaltiges Bauen.

In der Diskussion ging es unter anderem um die Charta für Holz und nachwachsende Rohstoffe an sich, aber auch um den Einsatz von Recyclingmaterialien im Bauwesen. Die Teilnehmer waren sich einig, dass es kreislauffähige Baustoffe brauche und bereits existierender Baubestand erhalten und weiterentwickelt werden müsse.

Habeck: „Manchmal muss man ein neues Modell riskieren“

Gleiche Stelle, anderes Thema: Später diskutierte auf der Fachbühne Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck unter Moderation von Cathérine Kippe von der ZDF-Umweltredaktion mit der Wirtschaftsweisen Prof. Dr. Monika Grimm und Dr. Marie-Luise Wolff, BDEW-Präsidentin sowie mit Dr. Sapna Suri, RWE, und dem Youtuber Cedric Engels zum Thema „Wasserstoff – Hype or Hope?“ Darin ging es um die Chancen der Umstellung der Industrie auf einen der wohl größten Hoffnungsträger für die Energiewende: Wasserstoff. Und darum, welche internationalen Kooperationen nötig sind, um sogenannten grünen Wasserstoff in ausreichenden Mengen zu beschaffen.

Mobilisierung von Gesundheitswesen, Politik und Gesellschaft, um den Planeten zu schützen

Dass für die Gesunderhaltung der Menschheit vor allem eine gesunde Erde essenziell ist, dafür plädierte Arzt und Wissenschaftsjournalist Dr. Eckart von Hirschhausen am Nachmittag auf der Fachbühne. Mit seiner Stiftung „Gesunde Erde – gesunde Menschen“ möchte er Gesundheitswesen, Politik und Gesellschaft mobilisieren, um den Planeten zu schützen: „Unser aller Ziel muss die Gesunderhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sein“. Für eine enkeltaugliche Zukunft, also für ein gesundes und friedliches Miteinander, sei es essenziell, Luft und Wasser rein und Pflanzen und Tiere gesund zu erhalten, so Hirschhausens Credo.  

Circular Economy: Reparatur goes Suffizienz, wenn es gut läuft

Unter dem Titel „Suffizienz und Reparatur: Das Erfolgskonzept für eine Circular Economy“ diskutierten mehrere Doktorandinnen der BTU Cottbus-Senftenberg mit Katrin Meyer, Projektkoordinatorin des „Runden Tisches Reparatur“ und Susanne Kadner, Co-Gründerin der Circular Republic, darüber, welche Lösungen es für eine genügsame und weniger konsumabhängige Zukunft geben kann.

Unter dem Stichwort „Suffizienz“ sind – in der Theorie – alle Strategien zusammengefasst, mit deren Hilfe – in der Praxis – Produktion und Konsum in absoluten Mengen reduziert werden können. Eine besonders effektive Suffizienz-Maßnahme liegt in der Reparatur: Sie verlängert die Lebensdauer von defekten Produkten oft deutlich und trägt damit dazu bei, dass CO2-Emissionen und der Verbrauch natürlicher Ressourcen abnehmen. Daher sollte die Unterstützung von Reparatur und somit der längeren Nutzung von Produkten in einer Circular Economy höchste Priorität haben.

Der zweite Tag, Mittwoch, 5.6.2024: Bundesumweltministerin Steffi Lemke und neue Strukturen und Prozesse zum Schutz der Biodiversität

Wenn die Rede von der Klimakrise ist, muss auch die Biodiversität mitgedacht werden. Welche neuen Strukturen und Prozesse sind zum Schutz der Biodiversität notwendig? Und wie können auf diese Weise das Artensterben gestoppt und zudem Nahrungsgrundlagen und die Natur global gesichert werden? Darum ging es im Panel „Bye Bye Artensterben – so sichern wir Nahrung und Natur“ mit Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Silke Gorißen, Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen, sowie Mechthild Möllekamp, Vizepräsidentin des Handelsverbandes Deutschland, mit Prof. Dr. Kai Niebert, Präsident des deutschen Naturschutzrings und Prof. Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin.

Zu Risiken und Nebenwirkungen: Die grüne Transformation

Dass die grüne Transformation neben vielen Chancen auch neue gesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringt, angefangen vom lokalen Level klima- und gesundheitsresilienter Städte bis hin zu globalen Verteilungskonflikten, darüber ging es im Panel „Willkommen Transformation“ am Mittwoch auf der Fachbühne. Hierzu war die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Svenja Schulze, eingeladen und diskutierte mit dem Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, Prof. Dr. Uwe Schneidewind, und dem Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Raj Kollmorgen sowie Anna-Nicole Heinrich, Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, und Continental-Vorstandsmitglied Dr. Ariane Reinhart über die Klimakrise und die Frage sozialer Gerechtigkeit.

Ob „Science Slam“ oder „Green Start-up Pitch“ – die Autorin dieser Zeilen hätte eigentlich gern überall gleichzeitig sein wollen, etwa beim Interview mit Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, der zu den drängendsten Fragen zu den Themen Umweltschutz, Digitalisierung und Transformation Rede und Antwort stand. Aber auch das Netzwerken zum Thema Abfallvermeidung und darüber hinaus kam nicht zu kurz, mit Kolleginnen und Kollegen vom VKU, aber auch mit der Zero-Waste-Agentur und der Berliner Stadtreinigung, der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung und dem Bergischen Abfallwirtschafsverband.

Einiges gibt es nachzulesen und im Video unter https://www.woche-der-umwelt.de/.

Tenor: „Wie wir alle Teil des Problems sind, sind wir auch Teil der Lösung“

Resümee: In den beiden Tagen der Woche der Umwelt 2024 ging es um neue Wege und Kompromisse, Visionen und „Ideenkatalysatoren“, aber auch um intensiven fachlichen Austausch und beim Netzwerken vor allem auch um das „Wir“ – darum, alle mitzunehmen. Denn, so die einhellige Botschaft: „Wie wir alle Teil des Problems sind, sind wir auch Teil der Lösung.“
„Wir sind hier keine Fernsehtalkshow, wir wollen nicht das Interesse der Zuschauer wecken, sondern sehen: Wo bewegen wir uns aufeinander zu?“
so Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Dies scheint aus Sicht der Autorin den Veranstaltern, dem Bundespräsidenten und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, gelungen zu sein.

Hier nur einige der Schlussfolgerungen aus zwei Tagen Woche der Umwelt im Schlosspark von Bellevue: „Wir müssen darüber reden, wie wir Leute motivieren, es ist alles eine Frage der Kommunikation“, „die Klimawende braucht uns junge Menschen als Mutmacher, es lohnt sich also, die politischen Rahmenbedingungen für unsere Zukunft zu setzen“, „auf der Woche der Umwelt kommt man mit vielen wichtigen Fachleuten und Kollegen ins Gespräch und direkt zum Punkt – und so zu neuen Ansätzen und Ideen“, so der Tenor vieler Gäste und Aussteller.
Durch die Brille des diesjährigen Themas der Europäischen Woche der Abfallvermeidung – Vermeidung von Lebensmittelabfällen – betrachtet, war auch der Input vieler Aussteller sehr spannend: Wie ist der aktuelle Stand nachhaltiger Agrarwirtschaft und wie können etwa auch sogenannte Missfits genutzt werden, also Obst und Gemüse, deren Aussehen nicht der Norm entspricht; oder auch die Hinweisschildchen auf Fakewürsten und Fakegemüse zu den versteckten, aber eigentlichen Kosten von Lebensmitteln am Stand der Neumarkter Lammsbräu KG und der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm – unter Berücksichtigung von Energie, Emissionen und Landnutzungsänderung. Und um das Thema Lebensmittel und Lösungsansätze gegen die Verschwendung von Lebensmitteln geht es ja auch bei der diesjährigen Europäischen Woche der Abfallvermeidung vom 16. bis 24. November.